„Es muss sich in unserer Gesellschaft etwas ändern“

Frauenbeauftragte des Landkreises spricht über die Herausforderungen für Frauen

Der Internationale Weltfrauentag am Montag, 8. März, hat auch für die Frauen im ländlichen Raum eine große Bedeutung. Über die heutige Frauenrolle und die Gleichberechtigung der Geschlechter spricht die Frauenbeauftragte des Landkreises Kassel, Anna Hesse, im Interview. Außerdem geht es um die Problematik des Corona-Lockdowns und dessen Auswirkungen. Die Fragen stellte Fleur C. Tauber aus der Pressestelle des Landkreises.

Welche Bedeutung hat der Frauentag für Sie als Frauenbeauftragte und als Frau?

Dieser Tag wird auf der ganzen Welt gefeiert. Als ich ganz frisch als Frauenbeauftragte angefangen habe, habe ich bei einem Treffen in Vellmar eine Italienerin getroffen, die mir erzählte, dass in Italien die Frauen an diesem Tag Blumen bekommen – das hat mich sehr berührt. Es ist einfach ein Tag, der in allen Nationen begangen wird. Es wird hingeguckt, auf die Themen der Frauen. Mir als Frau ist dieser Tag besonders wichtig, im Gegensatz zum Muttertag, denn nicht jede Frau ist auch eine Mutter.

Anna Hesse, Frauenbeauftragte des Landkreises Kassel, im Interview.

In Zeiten von Corona hört man immer mehr Berichte über die Rückkehr zu alten Geschlechterrollen. Frauen reiben sich zwischen Home Office, Familie und Haushalt auf. Wie nehmen Sie diese Situation wahr?

Frauen sind leistungsorientiert- egal ob privat oder beruflich. Sie haben hohe Ansprüche vor allem an sich selbst. Im Home Office ballen sich die Aufgaben und die entlastenden Momente sind nicht da. Frauen übernehmen oft die ganze Organisation gerade im häuslichen Umfeld. Männer arbeiten Aufgaben zielgerichtet ab – wenn sie im Home Office eine Videokonferenz haben, dann machen sie nichts anderes. Gerade junge Männer entziehen sich nicht der Erziehungsrolle, aber sie setzen Prioritäten. Bei den Frauen spricht man immer vom Multi Tasking: also Frauen versuchen gleichzeitig die Videokonferenz zu bewerkstelligen, dem Kind bei den Hausaufgaben zu helfen und nebenbei die Kartoffeln auf dem Herd im Auge zu behalten. Das führt zu einer immensen Belastung – auch im psychischen Bereich. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Frauen nicht mehr können.

Wie wirkt sich das auf die beruflichen Perspektiven von Frauen aus?

Wenn Frauen überlastet sind, dann kann die Belastung sogar bis zum Burn-out gehen. Oft wird dann in partnerschaftlichen Beziehungen diskutiert, ob die berufliche Tätigkeit der Frau unter diesen Umständen wirklich lohnt. So von wegen: Schatz, ich verdiene doch genug für uns! Du brauchst nicht arbeiten gehen. 

Wer nicht arbeitet oder in Teilzeit beschäftigt ist, kann auch nur wenig in die Rentenkasse zahlen. Damit haben Frauen ein erhöhtes Risiko für Altersarmut. Wie sieht die Situation im Kreis aus? 

Wir haben das ganz stark im ländlichen Raum. Durch längere Anfahrtswege gehen Frauen oft in Teilzeit und verdienen weniger – weil ja die Familie nebenbei auch versorgt werden muss. Oft haben Frauen mit ihren Männern Eigentum erworben, also Häuser gebaut, aber die Kinder leben später in einer anderen Region. Wenn die Männer versterben, sind die Witwen allein mit einer kleinen Rente in dem Anwesen. Was dann vorne und hinten nicht reicht! Vielleicht eröffnen sich in Zukunft durch die Digitalisierung für die jüngere Generation neue Wege. So könnten möglicherweise durch den Wegfall von Fahrtzeiten Frauen neue Wege hin zur Vollbeschäftigung finden.

Equal Pay, also gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ist in Deutschland leider immer noch nicht erreicht. Es gibt eine Lohnlücke von über 19 Prozent zwischen den Geschlechtern. Im europäischen Vergleich hängen wir hinterher oder?

Ja, das ist eine besondere Situation. Frauen arbeiten oft in Teilzeit und in Bereichen, die in der Bezahlung abgewertet sind. Warum wird ein Ingenieur besser bezahlt als die Kita-Leitung? Ist die Verantwortung für unsere Kinder nicht so viel wert, wie der Bau einer Brücke?! Es muss sich in unserer Gesellschaft etwas ändern. Es braucht mehr weibliche Vorbilder. Ein Problem ist, dass gerade Führung in Teilzeit oft nicht gern gesehen ist – aber Frauen arbeiten nun einmal oft in Teilzeit. Man muss es Frauen auch mal zutrauen zu führen.

Oft wird über Frauenquoten diskutiert, um weibliche Führungskräfte stärker in den Unternehmen zu fördern. Was halten Sie von der Quote?

Ich bin eine ganz klare Vertreterin der Männerquote. Mir geht es mehr um ein Geschlechterverhältnis und die Vielfalt in den Unternehmen und Aufgaben.  Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass sich Verhaltensweisen ab einem Diversitätswert von 40 Prozent ändern – bis dahin ist die Dominanz des anderen Geschlechts einfach zu groß. Diversity in allen Bereichen sollte im Vordergrund stehen, denn sie bereichert. Bei einer Männerquote von 60 Prozent wäre auch die Stigmatisierung der Frauenquote umgangen – denn viele Frauen, wollen keine Quoten-Frau sein.

Den Geschlechtern werden gerne bestimmte Rollen zugewiesen. Was macht das Leben als Frau heute aus?

Stigmatisierung kann alle Geschlechter treffen. Ich finde wichtig, dass Frauen aktiv Möglichkeiten – wie beispielsweise bei den Wahlen - ergreifen. Für das Frauenwahlrecht wurde jahrelang gekämpft. Frauenrechte sind Menschenrechte, denn schließlich sind Frauen die Hälfte der Gesamtbevölkerung. Frauen sollten sich den Raum nehmen und ihren Platz in der Gesellschaft gestalten. Dann wird unsere Welt bunter.